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Dr.-Ing. Sebastian Rehfeldt, Technische Universität München

Sehr geehrter Dr. Rehfeldt, vielen Dank, dass Sie dieses Interview mit uns führen. Es geht um das Projekt "ReProvAP - Reduzierung der klimarelevanten Prozessemissionen durch die verbesserte Auslegung von strukturierten Packungskolonnen", welches Sie koordinieren.

In der Projektbeschreibung kann nachgelesen werden, dass zwischen 3 und 10% des primären Weltenergiebedarfs auf die Stofftrennung in der Prozessindustrie zurückgehen. Angenommen, Sie könnten die Entwicklungen des Projekts großflächig ausrollen, wie hoch wäre das zu erwartende Optimierungspotenzial?

Das genaue Ausmaß des Optimierungspotenzials ist von verschiedenen Faktoren abhängig, darunter die Art der Prozesse, die in der Industrie tatsächlich eingesetzt werden, die Verbreitung der verbesserten Auslegungsmethodik, die Akzeptanz in der gesamten Industrie und die Umsetzbarkeit der entwickelten Ansätze. Eine genaue quantitative Einschätzung des Optimierungspotenzials würde eine detaillierte Analyse und dedizierte Pilotprojekte erfordern. Die öffentlich zugängliche Datenbasis ist hier leider zu eingeschränkt.

Wir sehen das Optimierungspotenzial vor allem in diesen Bereichen:

  1. Nutzung von Abwärme: Wenn der Druckverlust in den Stofftrennkolonnen durch präzise
    ausgelegte Packungen verringert wird, kann dies Möglichkeiten für eine effiziente
    Abwärmenutzung eröffnen, beispielsweise zur Erzeugung von Niederdruckheizdampf.
  2. Ressourceneffizienz von Stofftrennkolonnen: Durch die präzisere Auslegung von
    strukturierten Packungskolonnen können die Apparate zur Stofftrennung kleiner gebaut
    werden, was den Ressourceneinsatz dafür mindert.
  3. Optimierung von Gesamtprozessen: Die verbesserte Auslegung der Packungskolonnen könnte es ermöglichen, energieintensive Verfahrensschrite, wie Brüdenkompression,
    Wärmeintegration und Verringerung von Verdichterleistung, zu implementieren. Dadurch könnten die Gesamtprozesse energieeffizienter gestaltet werden.

Da die chemische Industrie einen erheblichen Anteil am Energieverbrauch und den damit
verbundenen Treibhausgasemissionen hat, könnte die Optimierung der Stofftrennungsprozesse durch die verbesserte Auslegung der Packungskolonnen zu einer signifikanten Reduktion der klimarelevanten Emissionen beitragen.

Das Projekt ReProvAP zielt auf die Optimierung von Packungskolonnen in der chemischen Industrie ab. Diese sind ja etablierte Bauteile in hochoptimierten Prozessen. Wie aufwändig ist da der weitere Optimierungsaufwand?

Der Optimierungsaufwand hängt von verschiedenen Faktoren ab:

  1. Bestehende Optimierungsniveaus: Allgemein sind die Vorgänge in Packungskolonnen sehr komplex und noch nicht vollständig verstanden, weshalb sie nicht unbedingt als
    hochoptimiert bezeichnet werden können. Für den Fall, dass Packungskolonnen bereits auf einem hohen Optimierungsniveau betrieben werden, könnte es schwieriger sein, zusätzliche signifikante Verbesserungen zu erzielen. In solchen Fällen müssen möglicherweise kleinere, individuelle, aber dennoch wertvolle Optimierungen angestrebt werden.
  2. Verfügbarkeit von Daten: Die Optimierung erfordert oft detaillierte Kenntnisse über den
    Prozess, in dem die Packungskolonnen eingesetzt werden. Daten zu Strömungsbedingungen, Temperaturprofilen, Druckverlusten und anderen relevanten Parametern sind entscheidend. Wenn solche Daten verfügbar sind, erleichtert dies den Optimierungsprozess erheblich.
  3. Computational Fluid Dynamics (CFD): Der Einsatz von CFD-Simulationen kann den
    Optimierungsprozess unterstützen. Durch die Simulation von Strömungsverhalten und
    Wärmeübertragung können verschiedene Designvarianten virtuell getestet werden, bevor physische Änderungen vorgenommen werden. Eine detaillierte Strömungssimulation großer Apparate erfordert jedoch erheblichen Rechenaufwand.
  4. Betriebs- und Sicherheitsaspekte: Optimierungen müssen im Einklang mit den Betriebs- und Sicherheitsanforderungen erfolgen. Änderungen an etablierten Prozessen erfordern eine sorgfältige Bewertung der Auswirkungen auf die Prozesssicherheit und -stabilität.
  5. Wirtschaftlichkeit: Der wirtschaftliche Nutzen der Optimierungen muss im Verhältnis zu den Aufwänden stehen. Eine Kosten-Nutzen-Analyse ist notwendig, um sicherzustellen, dass der Optimierungsaufwand gerechtfertigt ist.

Insgesamt erfordert die Optimierung von Packungskolonnen in der chemischen Industrie eine integrierte Herangehensweise, bei der technische, ökonomische und sicherheitstechnische Aspekte berücksichtigt werden. Der genaue Aufwand ist stark vom Kontext des jeweiligen Prozesses, den verfügbaren Ressourcen und den angestrebten Optimierungszielen abhängig. Neben quantitativen Erkenntnissen, wie die neuen vereinheitlichten Messungen, sind gerade qualitative Erkenntnisse für die Industriepartner wertvoll und können bei zuküntiigen Auslegungen und Optimierungen helfen.

Das Projekt verfolgt 3 Ziele bzw. Innovationen auf verschiedenen Zeitskalen. Das sind die Analyse vorhandener Betriebsdaten (kurzfristig), eine neu zu entwickelnde Messzelle (mittelfristig), sowie die Entwicklung neuartiger Modellierungsansätze (langfristig). Können Sie bereits auf den Entwicklungsstand der jeweiligen Ziele eingehen?

Vorhandene Betriebsdaten sind bereits analysiert worden ebenso wie neu erfasste Messergebnisse. Die neuartigen, miniaturisierten Messzellen sind fertig entwickelt und auch bereits im Einsatz. Die daraus resultierenden Messdaten wurden in den betrachteten Datensatz aufgenommen und Vergleiche zu anderen Skalen durchgeführt. Erste Ansätze zur Entwicklung einer neuen Auslegungsmethodik wurden bereits in Form einer Skalierungsgleichung und eines KI-Modells präsentiert und einer breiteren Öffentlichkeit durch Veröffentlichungen in Fachzeitschriften und Konferenzbeiträgen vorgestellt.

Bedeutet das langfristige Ziel, dass es nicht im Rahmen des Projekts zu erreichen
ist? Wie wird im Projekt darauf hingearbeitet?

Das langfristige Ziel könnte in der verbleibenden Projektlaufzeit noch erreicht werden. So wurden bereits eine Skalierungsgleichung und ein KI-Modell als mögliche Ansätze vorgeschlagen und publiziert. Die endgültige Auslegungsmethodik bedarf weiterer Forschung und profitiert von einer größeren Datenbasis, die vermutlich den Rahmen von ReProvAP bei weitem übersteigen. Im Projekt ist eine Veröffentlichung zur einheitlichen Messung von Trennleistungen in Destillationskolonnen und Messzellen geplant, wodurch ein Grundstein für zuküntiige Messungen gelegt wird. Daten, die entsprechend der Veröffentlichung generiert wurden, sind vertrauenswürdiger, da das Wissen aller
Projektpartner und Best Practice Erfahrungen aus dem Projekt dort eingeflossen sind.
Auch nach Ende der Projektlaufzeit werden die Daten den jeweiligen Forschungsgruppen noch zur Verfügung stehen und werden in Rahmen von Promotionsprojekten und Veröffentlichungen weiter ausgewertet.

Wie, wo und auf welcher Zeitskala sollen diese Innovationen implementiert werden?

Die Innovationen aus dem Projekt tragen bereits bei allen Projektpartnern zu einem besseren Verständnis von Phänomenen in der destillativen Trennung bei. Neue Messwerte aus allen Skalen und den Messzellen geben Aufschluss über experimentelle Einflussfaktoren auf die Trenneffizienz, wodurch ein nicht-quantifizierbarer Mehrwert für alle Projektpartner geschaffen wurde. Die daraus resultierenden Verbesserungen in der Auslegung und Optimierung von Destillationskolonnen können bereits jetzt direkt zur Emissionsminderung beitragen. Die Messzellen können im Falle von Industrieinteresse außerhalb des Projekts bereits zeitnah nachgebaut und eventuell als Ergänzung oder Alternative in der Kolonnenauslegung verwendet werden. Dies hängt jedoch stark von der Bereitschaft der jeweiligen Firmen ab, innovative Technologien auszuprobieren.

Angesichts der langen Lauf- und Lebenszeiten chemischer Anlagen von mehreren Jahrzehnten sowie möglichst langen Wartungszyklen, scheinen die Implementierungsfenster kurz und relativ statisch. Wie ist das Commitment der Partner zur Fortführung und zum Einsatz der Innovationen?

Das langfristige Engagement der Projektpartner ist ein entscheidender Faktor für den Erfolg und die nachhaltige Implementierung von Innovationen in der chemischen Industrie, insbesondere wenn es um Anlagen mit langen Lauf- und Lebenszeiten geht. Das Commitment der Partner zur Fortführung und zum Einsatz der Innovationen hängt von mehreren Faktoren ab:

  1. Wirtschaftliche Vorteile: Die Partner werden wahrscheinlich ein starkes Interesse an den
    wirtschaftlichen Vorteilen haben, die sich aus erfolgreichen Innovatonen ergeben. Wenn die Implementierung von Lösungen zu Kosteneinsparungen, Effizienzsteigerungen oder anderen wirtschaftlichen Vorteilen führt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Partner langfristig engagiert bleiben.
  2. Technische Integration: Die Integration von Innovationen in bestehende Anlagen und
    Prozesse kann eine Herausforderung sein. Das Commitment der Partner hängt oft davon ab, wie reibungslos und kosteneffizient die Implementierung erfolgen kann. Eine sorgfältige Planung und technische Unterstützung können die Bereitschaft zur Umsetzung erhöhen.
  3. Branchenstandards und Regulierung: Wenn die Innovationen den Branchenstandards und den regulatorischen Anforderungen entsprechen, wird dies die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die Partner die Lösungen langfristig übernehmen.

Es besteht den oberen Punkten entsprechend ein großes Interesse der Partner an einer Fortführung und Einsatz der Innovationen. Wie bereits in der Vergangenheit gezeigt, ist die chemische Industrie in der Lage, auch während eines zeitlich begrenzten Stillstands ganze Anlagen umzukrempeln (sog. Revamps). Wir sind zuversichtlich, dass bei entsprechenden in Aussicht stehenden Vorteilen das Commitment der Partner zur Umsetzung der Innovation ausreichend groß ist.

Können Sie uns bereits einen Einblick in die Methodik und Ergebnisse der Lebenszyklusanalyse geben?

Für die Lebenszyklusanalyse wurden unterschiedliche Einsparszenarien definiert und simuliert. Das Einsparpotential für CO2 bei den Szenarien bewegt sich zwischen sehr niedrigen Werten für eine geringe Optimierung der Anlage bis zu einer hohen Einsparung über 80% für Revamps von bestehenden, schlecht ausgelegten Bodenkolonnen zu hochintegrierten Packungskolonnen. Die Realität bewegt sich irgendwo dazwischen und hängt von den jeweiligen Firmen und deren aktuellen Prozessen ab.
Dadurch, dass es sich bei der chemischen Industrie um eine sehr energieintensive Branche handelt, sind bereits geringste Einsparungen durch leichte Optimierungen nicht unerheblich. Und dies kann durch eine verbesserte Auslegungsmethodik mindestens erreicht werden.

Wird es eine Pilotanlage geben? Wie sieht die langfristige Vermarktungsstrategie aus, um einen möglichst großen Hebel für die Innovationen zu erreichen?

Es ist keine Pilotanlage jenseits der zwei Messzellen im Technikumsmaßstab geplant. Erkenntnisse aus dem Projekt fließen direkt in das Tagesgeschäft der Industriepartner ein und tragen zu einer verbesserten Auslegung und Optimierung bei. Infolgedessen könnten Anlagen im Pilot- und Industriemaßstab mithilfe von Erkenntnissen aus ReProvAP ausgelegt werden, was jedoch nicht mehr im Rahmen des Projekts geschieht.

Herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen! Wir wünschen Ihnen weiterhin viele Erfolge im Projekt!

Das Interview wurde am 15 Januar 2024 schriftlich mit Herr Dr.-Ing. Sebastian Rehfeld geführt und mit dessen Einverständnis am 20. Februar 2024 veröffentlicht.